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"Eine Perspektive für den ländlichen Raum"

Berlin, 28. März 2013

Hier ein Gastbeitrag von Ingbert Liebing, der in der Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung veröffentlicht wurde:

"Die reetgedeckten Häuser stehen noch, aber es brennt kein Licht hinter den Fenstern. Die jungen Dorfbewohner sind fortgezogen ins Hamburger Umland, nach Kiel oder Flensburg. Einige Ältere harren aus, doch das tägliche Leben wird immer mühsamer. Eine Schule gib es im Ort schon lange nicht mehr. Auch der Dorfladen musste mangels Kundschaft dicht machen. Der nächste Arzt ist erst Dutzende Kilometer entfernt in der nächsten Kreisstadt. Jahr für Jahr sinkt die Einwohnerzahl in den Dörfern weiter.

Ein düsteres Zukunftsszenario, aber mit reellem Hintergrund. Der demographische Wandel ist schon im Gang: Wir werden immer weniger und immer älter. Aber ist das Ausmaß künftiger Entwicklungen tatsächlich schon im täglichen Denken und Handeln angekommen?

Dörfer am stärksten betroffen

Ich habe den Eindruck, dass dies noch nicht der Fall ist. Dabei stellt der demographische Wandel für unser Land die größte Herausforderung seit Jahrzehnten dar. In den ländlichen Kreisen und den kleinen Gemeinden sind bereits die Auswirkungen der schwindenden Bevölkerung spürbar. Bis 2025 werden etwa die Kreise Dithmarschen und Steinburg jeweils rund 10000 Einwohner verlieren - rund fünf Prozent ihrer Bevölkerung.

Wanderungsbewegungen führen zwar dazu, dass die Bevölkerung Schleswig-Holsteins bis 2030 nur moderat um gerade einmal 100000 Einwohner abnehmen wird. Dabei gewinnen die Städte und das Hamburger Umland in den kommenden Jahren sogar noch Einwohner hinzu. Aber bereits ab 2025 werden die Bevölkerungszahlen auch in Kiel, Lübeck, Flensburg und im Hamburger Umland stagnieren und anfangen zu sinken.
Jeder Fünfte ist weg

Bis 2060 wird die Bevölkerungszahl laut Prognosen des Statistischen Bundesamtes von jetzt 2,8 auf 2,2 Millionen Menschen zurückgegangen sein. Jeder Fünfte weg - fast 600.000 Menschen weniger. Das ist die gesamte Bevölkerung aller vier kreisfreien Städte Flensburg, Kiel, Lübeck und Neumünster zusammengenommen. In den neuen Ländern hat diese Entwicklung früher angefangen und heftiger: Ein Vorgeschmack auf das, was auch in Schleswig-Holstein in den kommenden Jahren auf uns zukommen könnte, lässt sich jetzt schon in Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg beobachten. Dörfer sterben aus.

Noch in den 70er- und 80er-Jahren zogen junge Familien aufs Land, wo Baugebiete ausgewiesen wurden. Aber diese Familien sind jetzt in die Jahre gekommen. Bereits 2040 wird jeder Dritte älter als 60 sein. Ihre Kinder ziehen in die Städte, wo es die attraktiveren Arbeitsplätze gibt, wo das Leben insgesamt als attraktiver empfunden wird. Die Betriebe ziehen hinterher, weil sie auf dem Land nicht mehr die Fachkräfte finden, die sie brauchen.

Ländliche Räume drohen leer zu laufen

Ein Teufelskreis. Weniger Menschen heißt, dem Kaufmann fehlen Kunden, dem Arzt die Patienten und der Schule der Nachwuchs. Erst schließt die Schule, dann der Laden um die Ecke und die Praxis. Die ländlichen Räume drohen leer zu laufen. Die schleppende Breitbandversorgung mit schnellem Internet verstärkt das Problem noch. In den Städten liefern sich die Telekommunikationsunternehmen einen heftigen Wettbewerb um Kunden; in den Dörfern müssen manche Bürgermeister erst einmal Geld zücken, damit überhaupt ein Unternehmen anreist. Es droht eine digitale Spaltung Deutschlands.

Man könnte jetzt sagen: Diese Entwicklung lässt sich sowieso nicht aufhalten. Wir brauchen "Abwrackprämien" für Dörfer, die ohnehin keine Chancen mehr haben. Die Zukunft gehört den Städten, den Metropolregionen, den großen Einheiten, man müsse "die Starken stärken". Und das strahle dann auch ins Umland aus.

Städte leiden unter der Landflucht

Eine solche Antwort ist falsch. Auch die Städte leiden unter der Landflucht: Steigende Immobilienpreise und explodierende Mietkosten sind bereits heute große urbane Probleme. Eine Politik für die Regionen ist kein Gegensatz zu einer städtischen Politik. Wir brauchen beides: Gute Lösungen für die Städte und eigenständige Entwicklungsstrategien für den ländlichen Raum. Ist es nicht am besten, Anstrengungen zu unternehmen, um den Menschen dort Zukunftsperspektiven in ihrer Heimat zu geben, wo sie heute leben, und wo auch ihre Kinder noch Zukunft haben sollen?

Die Koalitionsfraktionen im Deutschen Bundestag aus CDU/CSU und FDP haben dieses Thema im vergangenen Jahr nach ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt. Die Fraktionsvorsitzenden haben eine 15-köpfige Arbeitsgruppe einberufen und mir die Leitung übertragen. Vor knapp einem Jahr diskutierten wir auf einem Kongress im Reichstag mit zahlreichen Experten aus der Praxis erste Ergebnisse. Im Juni präsentierten wir einen Abschlussbericht. Daraus entwickelten wir einen Parlamentsantrag, den der Deutsche Bundestag im November 2012 beschlossen hat.

105 konkrete Vorschläge für ländliche Regionen

Unsere Zielsetzung ist es, dass Leben und Arbeiten auf dem Lande auch in Zukunft möglich bleibt. Für mich als CDU-Abgeordneten sind ländliche Räume Wirtschafts-und Arbeitsort im Einklang mit der Natur. Dafür enthält der von uns initiierte Bundestagsbeschluss "Zukunft für Ländliche Räume - Regionale Vielfaltsichern und ausbauen" insgesamt 105 konkrete Maßnahmen, mit denen wir bestehende Projekte zu Gunsten der ländlichen Regionen Deutschlands bündeln, Maßnahmen beschleunigen und neue Anregungen geben.

Die Stabilisierung der ländlichen Räume bei zurückgehender Bevölkerung betrifft alle Bereiche des Lebens. Es geht um Wirtschaft, Infrastruktur und Mobilität, um Landwirtschaft und Tourismus, sowie die Sicherung der Daseinsvorsorge, von Schulen, Kindergärten, sozialen und kulturellen Einrichtungen. Dazu gehört auch eine erreichbare medizinische Grundversorgung. Hierfür ist der flächendeckende Breitbandausbau für schnelles Internet zwingende Voraussetzung. Telemedizin, E-Learning, E-Government, die Energiewirtschaft mit minutengerechter Steuerung von Energieanlagen, ländlicher Tourismus: Kein Betrieb kann auf einen Netzanschluss verzichten. Für junge Menschen ist der Internetzugang kulturelle und kommunikative Selbstverständlichkeit.

Niemand kann sich mit der "Grundversorgung" von einem Megabit/Sekunde zufrieden geben. Was für Strom und Wasser gilt, muss auch für das schnelle Internet gelten, nämlich der grundsätzliche Anspruch am modernen Leben teilhaben zu können. Die CDU-geführte Landesregierung hatte sich zum Ziel gesetzt, bis 2020 die flächendeckende Versorgung mit Hochgeschwindigkeitsnetzen von 100 Megabit/Sekunde zu erreichen - immerhin ein Ausbaustandard, den es heute schon in Kiel gibt. Die Landesregierung hat dieses Ausbauziel für das ganze Land gerade einfach um zehn Jahre auf 2030 vertagt.

Wachstum durch Breitband und alternative Energien

Unser Bundestagsbeschluss macht mit einem Dutzend Vorschlägen zum beschleunigten Breitbandausbau deutlich: Dies ist ein entscheidendes Thema für die Zukunft auf dem Lande. Wir brauchen eine verstärkte öffentliche Förderung, ein gemeinsames Infrastrukturförderprogramm Breitbandausbau für die Kommunen und Telekommunikationsunternehmen, Zuschüsse zur Schließung von Wirtschaftlichkeitslücken und Bürgschaften.

Wirtschaftliches Wachstumspotenzial für ländliche Regionen ergibt sich auch aus der Energiewende. Erneuerbare Energien werden in erster Linie auf dem Lande erzeugt. Das schafft neue Wertschöpfungspotenziale. Arbeitsplätze entstehen - auch zum Betrieb, zum Service und zur Wartung der Anlagen. Die dezentrale Struktur des Energiesektors bietet so, insbesondere mit den Bürgerwindparks, neue Chancen.

Ein weiteres meiner Hauptanliegen ist die medizinische Grundversorgung. Mit dem Versorgungsstrukturgesetz, dem sogenannten Landärztegesetz, hat die Koalition im Bundestag bereits verbesserte Vergütungen für Landärzte ermöglicht. Aber es geht noch mehr. Kommunale Praxisräume, die an Ärzte, auch in Teilzeit, vermietet werden, oder kommunale Gemeindeschwestern, die Ärzte von leichten medizinischen Aufgaben entlasten, ermöglichen es ländlichen Kommunen die Versorgung sicherzustellen.

Zusammenarbeit zwischen Kommunen

Wahr ist allerdings auch: Nicht jede Gemeinde wird jede Form der notwendigen Leistungen alleine anbieten können. Dafür brauchen wir mehr Zusammenarbeit zwischen den Kommunen. So setzen wir in der Wirtschaftsförderung Regionalbudgets, um die Potenziale und Initiativen aus den Regionen heraus zu nutzen. Gerade im ländlichen Tourismus gibt es Wachstumspotenzial für Arbeit und Zukunft auf dem Land.
Wichtig bleibt auch das Thema Mobilität, die Anbindung ländlicher Regionen an Zentren und Regionen. Wie sichern wir öffentlichen Personennahverkehr, wenn die Hauptnutzer, die Schüler, immer weniger werden? Zu recht hat gerade das Omnibusgewerbe die Konzentration der Landesregierung auf Schienenbauprojekte kritisiert. Für das Prestigeprojekt Stadt-Regionalbahn-Kiel, das niemand braucht, werden die Gelder im ganzen Land zusammengekratzt. Das schadet der Mobilität in der Fläche.

Die Landesregierung plant, dass im Finanzausgleich Gelder aus ländlichen Kommunen die Städten subventionieren sollen. Hessen geht den genau umgekehrten Weg: Dort wird der Finanzausgleich neu gestaltet, damit auch die Dörfer auf dem Lande ihre Aufgaben angesichts des demographischen Wandels wahrnehmen können.

Mehr Lehrer für kleine Grundschulen

Wer junge Familien auf dem Lande halten will, muss auch etwas für die Kinder tun. Für Kindergärten sorgen die Gemeinden und freien Träger. Aber für die Schulversorgung ist das Land zuständig. Hier steht die nächste Welle von Schulschließungen bevor, wenn die Landesregierung sich nicht besinnt. 16 Außenstellen von Grundschulen stehen konkret auf der Abschussliste. Sicherlich wird nicht jeder Kleinst-Standort zu halten sein. Aber das sture Festhalten an Mindestschülerzahlen von 80 für eigenständige Grundschulen oder 45 für Außenstellen hilft nicht weiter. Wenn die Landesregierung zusätzliche Lehrer für neue gymnasiale Oberstufen bei zurückgehenden Schülerzahlen einsetzt, dann sind zusätzliche Lehrer zur Sicherung der Schulversorgung auf dem Land für die kleinsten Schüler mindestens genauso wichtig.

Ländliche Räume und Demographie? Ministerpräsident Torsten Albig war diese gewaltige Herausforderung in seiner Regierungserklärung zwei Halbsätze wert, und das auch nur, um Personalabbau in der Landesverwaltung und Zuwanderung zu begründen.

Wie sich dieser dramatische Wandel auf das Leben jedes Einzelnen auswirken wird, darüber entscheiden Politik und Gesellschaft bereits heute. Unsere jetzigen Weichenstellungen, aber auch Stillstand, Nichtstun und Abwarten, haben Auswirkungen auf unsere Zukunft.

Ich möchte, dass auch unsere Kinder noch Zukunft auf dem Lande haben. Die ländlichen Räume und die Menschen, die dort leben, haben es verdient. Sie sind alle Anstrengungen wert. Dies liegt im Interesse des ganzen Landes."


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