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Debatte „Die Zeitbombe der Munitionslasten in Nord- und Ostsee entschärfen“

Deutscher Bundestag - 16. Wahlperiode, 25. September 2008

Herr Präsident / Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen!

Die Problematik, mit der wir uns heute beschäftigen, ist seit Jahren in vielen Variationen Thema in den Medien. Besonders in den Sommermonaten reicht die Bandbreite der Berichterstattung von der eindringlichen Warnung, sich überhaupt der Nord- oder Ostsee zu nähern bis hin zur völligen Entwarnung. Was also sind die Fakten, wenn wir von Munitionsaltlasten vor der deutschen Küste sprechen?

Fakt ist, dass tatsächlich Grund zur Sorge besteht. Unbestritten ist, dass es in regelmäßiger Folge zu Unfällen kommt, die auf versenkte Kriegsmunition zurückzuführen sind. Dies sind bis heute auch an der Ostsee, die besonders betroffen ist, glücklicherweise Einzelfälle. Dennoch: Gerade vor ein paar Tagen haben Mitarbeiter eines Bauernhofs in Timmendorf erst wieder ein vier Meter langes Torpedoteil aus dem Wasser gefischt. Der Strand musste von der Polizei abgesperrt werden und es dauerte mehrere Stunden, bis der Kampfmittelräumdienst Entwarnung geben konnte.

Die Wissenschaft ist sich hingegen nicht einig, wie das Gefahrenpotential einzuschätzen ist. Grundsätzlich lassen sich in der Betrachtung der Thematik drei wesentliche Probleme definieren:

1. Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde im großen Stil Kriegsmunition in Küstengewässern versenkt. Zuweilen geschah dies chaotisch, was angesichts der Gesamtsituation im Nachkriegsdeutschland nicht verwundert. Die genaue Lage dieser Altlasten ist in den seltensten Fällen bekannt. Wenn es zur damaligen Zeit Aufzeichnungen gegeben hat, stimmen diese aufgrund der Meeresströmung kaum noch mit der Realität überein. Größere Mengen Munition sind zudem nicht wie vorgesehen an besonders tiefen Stellen versenkt worden. Entsprechend verstreut liegen heute die Kampfstoffe am Meeresboden. Zusätzlich besteht Gefahr durch im Krieg verlegte Minen und auch durch gesunkene Kriegsschiffe, deren Waffen- und Munitionsbestand in der Regel nicht erfasst ist.

2. Der Forschungsstand zur Gefährdung von Mensch und Natur ist niedrig. Für die Küsten bestehe im Moment kaum eine Bedrohung, weil sich viele Gifte im Wasser schnell verflüchtigten, sagt etwa der finnische Forscher Tapani Stipa vom Finnish Institute of Maritime Research in Helsinki. Er betont aber, auch sein Kenntnisstand sei gering. Hingegen hält der Meeresforscher Stefan Nehring, der eine vielbeachtete Studie zum Thema herausgegeben hat, die verklappte Munition für eine Zeitbombe. Toxikologen der Universität Kiel befürchten, dass sich Gifte aus Brandbomben und Gasmunition über die Nahrungskette in Tieren anreichern könnten. Aber auch die kritischen Stimmen bestätigen schlussendlich, dass die bisherigen Erkenntnisse vollkommen unzureichend sind.

3. Die oftmals erhobene Forderung, die Munition umgehend zu bergen, könnte das Problem verschärfen, statt es zu lösen und zu einer erheblichen Gefährdung sowohl für das Ökosystem Meer als auch für den Menschen führen. Führende Experten haben wiederholt auf die Gefahren einer möglichen Bergung hingewiesen. Nach 60 Jahren sind viele der Ummantellungen durchgerostet, ein Einsammeln birgt daher im Zweifel unkalkulierbare Risiken. Und eine mögliche Sprengung kann wiederum wegen des damit verbundenen Lärms möglicherweise gravierende Gefahren für die insbesondere in der Ostsee ohnehin gefährdeten Meeressäuger haben.

Die vordringlichste Aufgabe besteht also zunächst in der Erfassung der Menge und Lage der versenkten Munition sowie in der wissenschaftlichen Bewertung der möglichen Gefährdung. Was wir brauchen, ist eine verlässliche Gefährdungsabschätzung.

Unabhängig von der Sache selbst stellt sich aber zunächst die Frage der Zuständigkeit.

Die Beseitigung von Kampfmitteln aus der Zeit der Weltkriege ist als Gefahrenabwehr nach der föderalen Kompetenzverteilung des Grundgesetzes eine Aufgabe der Länder. Für das Aufspüren und die Bergung von Kampfmitteln im Meer ist daher grundsätzlich das jeweilige Küstenland zuständig. Der Bund veranlasst die Beseitigung von Kampfmitteln, wenn diese die Sicherheit des Schiffsverkehrs beeinträchtigen. Ungeklärt ist, wie mit Kampfmitteln verfahren wird, die außerhalb der deutschen Hoheitsgewässer liegen – dies trifft auf den größten Teil der bekannten Munitionsaltlasten zu.

Einerseits ist die Gefahrenabwehr also Sache des Bundes. Andererseits ist der Schutz für Badende, Sporttaucher und Fischer, die sich außerhalb der Seewasserstraßen bewegen, Ländersache, obwohl es sich um die gleiche Gefahr, nämlich Kampfmittel aus dem Zweiten Weltkrieg, handelt. Dieser Wirrwarr an Zuständigkeiten und zu beachtender Gesetze muss beendet werden. Hier gab es in der Vergangenheit Versäumnisse und hier besteht Handlungsbedarf. Insbesondere trifft dies auf die Koordination von Maßnahmen des Bundes mit denen der Länder zu.

Dieses Problem ist keineswegs neu. Schon 1999 gab es Ergebnisse einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Aber offensichtlich sind Probleme ungelöst geblieben. Aber Sie als Grüne Antragsteller, müssen sich schon an Ihre eigene Vergangenheit erinnern lassen:

Im November 2001 kam die damalige rot-grüne Bundesregierung zu der Einschätzung, dass angesichts der Menge der versenkten Munition und ihrer weiten Verbreitung eine Bergung weder technisch durchführbar noch finanziell realisierbar wäre. Eine unmittelbare Gefahr - so der Bericht - gehe von der Munition auch grundsätzlich nicht aus, da sie regelmäßig mit einer bis zu mehreren Metern starken Sedimentschicht überdeckt sei. Nachzulesen ist dies in der Drucksache Nr. 14/7277. Der Tenor des heute vorliegenden Antrages, dass hier ein vergleichsweise neues Problem vorliegt und die jetzige Bundesregierung etwa versäumt hätte, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, wird mir angesichts der Faktenlage nicht ganz verständlich. Im Jahr 2000 hatte die CDU-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag schon eine Anfrage an die damalige rot-grüne Landesregierung gestellt. Die Antwort des damaligen grünen Umweltministers Klaus Müller: „In den deutschen Hoheitsgewässern der Ostsee wurde keine Kampfmunition versenkt, so dass hier auch keine Bedrohung vorhanden ist.“ Aus den verschiedenen Antworten aus dem Hause Müllers ergibt sich, „dass hier kein Handlungsbedarf gegeben ist“. Nachzulesen ist das in der Landtagsdrucksache 15/479.

Es passt nicht zusammen, wenn die Grünen heute zum Handeln drängen, während Sie in Ihrer eigenen Regierungsverantwortung das Thema unter den Teppich gekehrt haben. Dazu passt auch nicht, dass Sie heute einen 20 Punkte umfassenden Maßnahmenkatalog vorlegen, obwohl doch eine Ihrer sicherlich berechtigten Forderung nach Gefährdungsabschätzung ausdrücklich sagt, dass wir noch deutlich mehr Erkenntnisse brauchen, bevor wir falsche Maßnahmen ergreifen.

Wir brauchen eine gemeinsame Lösung - in der Sache selbst genauso wie im Kompetenzgerangel.

Es gibt viele Versuche einer vernünftigen Lösung, z.B. auch durch die schleswig-holsteinische Landesregierung in Verantwortung von Umweltminister Christian von Boetticher. Wir brauchen langfristig tragfähige Lösungen, aber keine unausgegorenen Schnellschüsse.

Einige Forderungen aus dem vorliegenden Antrag sind daher zum Teil bereits Realität, andere illusorisch und mit den Mitteln des Bundes kaum zu verwirklichen:

Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie hat Bestandsaufnahmen über Munitionsversenkungsgebiete in Nord- und Ostsee durchgeführt. Die bekannten Versenkungsgebiete sind seit Langem in den amtlichen Seekarten gekennzeichnet. Darüber hinaus wird bei Baumaßnahmen an Seewasserstraßen der Baustellenbereich regelmäßig untersucht, um Personen- und Sachschäden vorzubeugen. Innovative Methoden im Umgang mit den Munitionsaltlasten werden längst erfolgreich angewandt – etwa im vergangenen April durch Probesprengungen östlich der Kieler Außenförde.

Eine Offenlegung sämtlicher Koordinaten oder auch nur eine annähernd verlässliche Datenbasis über Art und Umfang versenkter Giftstoffe aus Zeiten der Sowjetunion einzufordern, brächte kaum verwertbare Ergebnisse, ebenso wie einseitige Vorschläge an die Russische Föderation zur „Entsorgung militärischer Altlasten im Raum Kaliningrad“. Vielmehr brauchen wir gemeinsame Lösungen aller Ostseeanrainer etwa im Rahmen von HELCOM oder dem Ostseerat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich denke, wir alle stimmen darin überein, dass das Problem der versenkten Munitionsaltlasten aus dem Zweiten Weltkrieg auf die Tagesordnung gehört. Die ökologischen und im Übrigen auch die wirtschaftlichen Folgen einer Vernachlässigung dieser Thematik wären äußerst bedenklich. Daher muss das Kompetenzgeflecht aufgelöst und der Meeresboden langfristig zentral koordiniert nach versenkter Munition abgesucht werden. Ganz wesentlich ist, dass Sanierungskonzepte für die am stärksten belasteten Seegebiete entwickelt und umgesetzt werden.

Nicht zuletzt die touristische Wirtschaft unserer Küste aber auch die Fischerei ist an einer Lösung dieses Themas interessiert.

Der Antrag der Grünen ist einerseits scheinheilig, weil Sie Ihre eigenen Versäumnisse in Ihrer Regierungszeit verschweigen. Andererseits handelt es sich um ein objektives Problem, das gelöst werden muss. Es ist eine komplexe Thematik, die nicht mit Schnellschüssen zu erledigen ist.

Wir brauchen eine Schrittfolge:
1. Klärung der Kompetenzen
2. Gefährdungsabschätzung
3. Maßnahmenkatalog
4. Internationale Verständigungen.

Ich hoffe, dass wir in den Ausschussberatungen einer Lösung einen deutlichen Schritt näher kommen können.

Herzlichen Dank!
 

www.ingbert-liebing.de

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