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Rede zum Schutz der Tiefsee

(1/2) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode, 30. November 2006

Ingbert Liebing (CDU/CSU): Lange Zeit dachten wir, Leben sei ohne Sonne nicht möglich. Geht man unter Wasser, verlischt das letzte Sonnenlicht nach etwa 400 Metern vollständig. Deswegen ist die Menschheit in der Vergangenheit dem Irrtum aufgesessen, dass es in der Tiefsee keinerlei Leben geben kann. Inzwischen sind wir klüger. Die durchschnittliche Tiefe des Ozeanbodens liegt bei ungefähr 4 000 Metern, schon hier herrscht absolute Finsternis. Fische aber wurden noch in einer Tiefe unterhalb von 8 000 Metern gefangen!

Wir müssen also langsam umdenken in Bezug auf unsere Vorstellungen von der Tiefsee. In völliger Dunkelheit und kalten Strömungen gedeihen Korallen, die kein Hobbytaucher je zu Gesicht bekommt. Die Korallen strahlen in Weiß und leuchtendem Rot; Fische, Seesterne und Krebse bewegen sich zwischen den verästelten Kalkskeletten. Doch dieses Riff erstrahlt nur im Scheinwerferlicht eines Tauchboots. Wer jemals Videoaufnahmen aus einem solchen Tauchboot gesehen hat, wird die eindrucksvolle Vielfalt der Bilder nicht vergessen. Aber außerhalb dieses Scheinwerferlichts herrscht die Finsternis der Tiefe. Kaltwasser-Korallenriffe, die Stiefgeschwister der tropischen Schnorchelattraktionen, spielen aber offenbar eine zentrale Rolle für das Leben unter Wasser. Als Laichgrund und Kinderstube vieler Fischarten spielen die Riffe eine zentrale Rolle im Lebenskreislauf der Tiefsee und bilden so einen Hotspot der Artenvielfalt. Vom Meeresboden erheben sich gigantische Seeberge. Würden sie an Land stehen und für unser Auge sichtbar sein, so fielen sie unter die eindrucksvollsten Landschaftsgebilde der Welt. Die erhöhte Produktion von Biomasse an und auf diesen Seebergen macht sie zu Oasen der Ozeane, deren vielfältiger Einfluss für verschiedenste biologische Prozesse unschätzbar ist.

Hydrothermale Quellen, so genannte Schwarze und Weiße Raucher, die sich am Grund der Tiefsee finden, bilden eigene Biotope mit vielen, meist nur in dieser Umgebung lebenden Arten. Einige Forscher weisen der Umgebung von Schwarzen Rauchern eine zentrale Bedeutung in der Entwicklung des Lebens auf der Erde zu. Einige Biologen erwarten sogar, ähnliches Leben auf Monden der Gasplaneten wie zum Beispiel dem Jupitermond Europa zu finden. Sie sehen also, wir wissen schon einiges, noch lange aber nicht alles über das Leben der Tiefsee. Und dennoch: wir wissen heute über die Rückseite des Mondes weit mehr als über das Leben in der Tiefsee – und das, obwohl die Weltmeere unser Leben vielfältig beeinflussen: Sie decken einen Großteil des Nahrungsbedarfs von Milliarden von Menschen. Die Haupttransportwege für den Güterverkehr ziehen sich wie ein Netz über das Wasser, ohne die das Weltwirtschaftssystem schlicht zum Erliegen käme. Und am Meeresgrund lagern wahrscheinlich Bodenschätze, die wir früher oder später dringend benötigen könnten.

Die Meere nehmen die Hälfte des weltweiten CO2-Ausstoßes auf und tragen damit eine wesentliche Last der globalen Klimaveränderung. Versauerung der Meere verändert die Ökosysteme, Nahrungsketten reißen. Dennoch fließt in die Erforschung der Meere nach wie vor nur ein Bruchteil der Mittel, die für die Erforschung des Weltraums zur Verfügung stehen. Es hat in der Vergangenheit auf regionaler, nationaler und auch globaler Ebene viele Anstrengungen gegeben, der Gefährdung der Meere zu begegnen. Aber gerade die Tiefsee, zu der vornehmlich Meeresregionen gehören, die außerhalb der nationalen Hoheitsgewässer liegen, ist bis heute unzureichend geschützt und eine wirkungsvolle Kontrolle von Schutzmechanismen, zum Beispiel Fischereiauflagen, ist hier kaum möglich. Vor einigen Monaten haben wir hier einen Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen diskutiert, der ein generelles Moratorium für Grundschleppnetzfischerei in der Tiefsee verlangt. Wir haben diesen Antrag seinerzeit abgelehnt, weil er ein wichtiges Thema leider zu undifferenziert abhandeln wollte.

Ingbert Liebing, MdB

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